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RICHTIG GUT LEBEN

RICHTIG GUT LEBEN

Erfüllt älter werden

Älter werden in Zypern

Gerade bin ich, aus Zypern kommend, in Wien gelandet. Körperlich zumindest. Mein Herz ist noch dort bei den zeitlos-archaischen Landschaftsformen rund um Paphos, (Zyperns kulturelle Hauptstadt und europäische Kulturhauptstadt 2017), dem leise, fast zaghaften Rauschen des Meeres in jenen dem Durchschnittstouristen verborgenen Buchten der naturgeschützten Akamas Halbinsel, die Helga und ich häufig aufsuchen, dem Gefühl der spätsommerlich milden Sonne auf meiner Haut, dem überdimensionalen Fresko des allesbeherrschenden Christus in der Kuppel der Kirche des heiligen Raphael u.v.m.  All das schwingt noch nach in mir, bewegt mich, nährt mich.

Als Helga, meine Frau, und ich in dem Dorf ankamen, wo wir seit nunmehr 15 Jahren wohnen, erschien es uns wie ein dezentrales Altersheim. Viele Junge sind in die Stadt gezogen (zwischenzeitlich sind einige reumütig wieder zurückgekehrt), und die Alten sind geblieben. So viele 90 bis 100jährige, einige auch darüber! Und die allermeisten von ihnen ausgesprochen rüstig! Nachdem ich ein wenig Griechisch gelernt hatte, setzte ich mich immer wieder zu den alten Männern im Kaffeehaus und staunte, wie geistig rege die Kerle doch alle waren. Nichts mit Demenz oder Alzheimer! Aber auch nichts mit Vereinsamung! Ich bin überzeugt, in diesem Dorf gibt es keinen einzigen einsamen Menschen. Auch nicht die Frauen, obschon das Kaffeehaus für sie Tabu ist, und sie deshalb das Dorfbild weniger prägen als die Männer. Sie treffen sich eher zu Hause zum Tratsch oder beim Einkaufen in dem kleinen Tante-Emma-Laden am Dorfplatz. Sie sind aber, gleich wie die Männer, ein integrierter Bestandteil der Dorfgemeinschaft. Und das scheint sie alle fit zu halten.

Helga gilt als eine Pionierin der Altenarbeit in Österreich. Einen derartigen Durchschnitt gesunder und agiler hochbetagter Menschen hatte aber auch sie im deutschsprachigen Raum nirgendwo kennengelernt. Dies gab uns den Anstoß, genauer hinzuschauen, welche biologischen und psycho-sozialen Einflussgrößen für eine solche Qualität des Alterns ausschlaggebend wären. Neben dem Eingebundensein in eine Community fiel uns die positive Einstellung der jüngeren Menschen zum Älterwerden auf. Altern bedeutet dem Zyprer weder eine Katastrophe, auch nicht ein unvermeidliches Schicksal, das man nolens-volens auf sich zu nehmen habe, vielmehr sieht er darin einen Lebensabschnitt zum Genießen, Beziehungen zu pflegen, das zu tun, was man immer schon tun wollte, und natürlich für die nachfolgenden Generationen da zu sein. Auch gesellschaftlich fühlt sich der alte Mensch alles andere als auf einem „Abstellgeleise“. Er wird wichtig genommen, spielt eine aktive, mit-bestimmende Rolle sowohl in der Familie als auch in der Dorfgemeinschaft, wird geachtet, nicht trotz sondern sogar wegen seines Alters. „Alt werden ist dem Leben die Krone aufsetzen“, sagte mir einmal ein pensionierter Professor, ein noch jüngerer alter Herr und regelmäßiger Gast im Dorfkaffee. „Die Menschen bei uns im Dorf haben keine Angst vor dem Altwerden, und sie haben auch keinen Grund dazu.“

Sicherlich leistet die mediterrane Küche einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Menschen. Die Zyprer sind zu Recht stolz auf ihre Küche und beziehen sich, wenn sie selbstverliebt darüber schwärmen, immer auf eine Studie, die ihnen angeblich bescheinigt, dass man nirgendwo in Europa so gesund esse wie bei ihnen. Nicht zu vergessen, die Sonne. Zypern rühmt sich ja, über 320 Sonnentage im Jahr zu haben. Die Sonne ist ausschlaggebend für die Produktion von Vitamin D, einem Schlüsselbaustoff für die Gesundheit, für die Stärkung des Immunsystems, für die Prävention gegen Krebs u.v.m. Die Tatsache, dass unser Dorf auf einer Meereshöhe von nahezu 700 m liegt, macht die Sonne nochmals angenehmer als in der auf Meereshöhe liegenden Stadt. Viele zyprische Familien besitzen Felder, die sie für Obst- und Gemüseanbau vor allem für den Eigenbedarf nutzen. Und wieder sind es die Alten, die zumindest mithelfen bei der Bestellung dieser Felder: Die positive Begleiterscheinung: Sie bewegen sich und beugen auf diese Weise dem körperlichen Verfall vor.

Helga machte mich schließlich auf noch einen Faktor aufmerksam, der mir tatsächlich bedeutsam erscheint. Die alten Menschen leben in einem Umfeld, einem kulturellen, räumlichen, wirtschaftlichen Umfeld, das sie selbst mitgestaltet haben und weiter mitgestalten. Sie erleben sich also nicht als Opfer sondern als Gestalter ihrer Lebensumstände.

All das scheint nicht nur zu Gesundheit und zu einem langen Leben zu führen sondern auch zu persönlicher Zufriedenheit. Und das, obschon, insbesondere seit der Krise, die Pensionen deutlich niedriger sind als in Österreich oder Deutschland. Und von einem Generationenkonflikt im gesellschaftlichen Sinn ist in Zypern auch nicht die Rede.

Für einen Generationenkonflikt gibt es, ebenso wie für die Angst vor dem Alter, keinen Grund, sofern die älteren Menschen selbst Verantwortung übernehmen,

  • Verantwortung für die Entwicklung ihrer Gesundheit,
  • Verantwortung für die Entwicklung von Klarheit im Kopf durch ein authentisches, ethisches Leben, in Übereinstimmung mit dem eigenen Herzen,
  • Verantwortung dafür, gestalterisch aktiv zu bleiben,
  • Verantwortung für das Wohl der eigenen Generation durch Vernetzung und gegenseitige Unterstützung,
  • Verantwortung dafür, einen sinnvollen Beitrag für die nachfolgenden Generationen in der eigenen Familie und der Gesellschaft zu leisten.

In dem Maße, in welchem wir ältere Menschen diese Verantwortung übernehmen, erübrigt sich der Generationenkonflikt. Übernehmen wir sie nicht, sind wir selbst dessen Erzeuger.

Diese Reflexionen haben Helga und mich veranlasst, eine Bewegung zu initiieren zu einem erfüllten Älterwerden.

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