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RICHTIG GUT LEBEN

RICHTIG GUT LEBEN

Es braucht ein neues WIR!

Ein Interview über den Umgang mit Corona
von Christina Zappella-Kindel mit Wolfgang Stabentheiner für das OOOM Magazin 

Viele Menschen sind gerade damit beschäftigt zu überleben (also im übertragenen Sinn, da es wirtschaftlich bei vielen nicht gut aussieht) – wie schafft man es da, von einem richtig guten Leben zu sprechen?

In Situationen von Krise braucht es uns ganz. Es braucht es unsere ganze Präsenz, Zentriertheit und Klarheit. Es braucht uns, dass wir anderen Zuversicht vermitteln, lösende Entscheidungen treffen und alle Kräfte mobilisieren, um das sich schließende Tor zur Zukunft wieder aufzustoßen. Wenn im Außen die Dinge aus dem Ruder laufen, dürfen wir nicht auch noch im Innen entgleisen.

Gerade wenn es um die Existenz geht, braucht es in sich gefestigte Menschen mit einem Grundvertrauen ins Leben. Menschen, die fähig sind, Herausforderungen willkommen zu heißen, fähig zur Verantwortung für sich selbst, andere und das Ganze, fähig Menschen zusammenzuführen und Ressourcen auf das Wesentliche hin zu bündeln. Wir können viel mehr beitragen zum Überleben, wenn wir uns auf einem Weg befinden, richtig gut zu leben.


„Gerade wenn es um die Existenz geht, braucht es in sich gefestigte Menschen mit einem Grundvertrauen ins Leben.“

 

Hat sich durch die Pandemie unsere Vorstellung von einem richtig guten Leben verändert?

Was war denn vorher unsere Vorstellung von einem richtig guten Leben? Es sich auf Kosten anderer und des Ganzen gut gehen lassen? Corona war zweifelsohne ein Weckruf, unserer Verantwortung gerecht zu werden für unsere Gesundheit, unsere Familien, unsere MitarbeiterInnen, unsere Finanzen.

Die Verantwortungslosen hat’s übler erwischt. Manches, das vorher kränkelte, ist in der Pandemie endgültig zerbrochen. Insofern hat uns Corona drastisch vor Augen geführt, dass Verantwortungslosigkeit uns selbst, anderen und dem Ganzen gegenüber keine Basis für ein richtig gutes Leben darstellt.

Was hat uns Corona gelehrt? Die Relationen im Leben richtig einzuschätzen? Das, was wirklich zählt, zu erkennen?

Das Leben ist weniger planbar geworden, hat uns herausgefordert, es hier und jetzt zu leben, mehr auf uns selbst zu vertrauen als auf unsere Pläne. Die äußeren Rahmenbedingungen geben immer weniger Halt. Den Halt müssen wir in uns selbst finden. Und Halt können wir uns gegenseitig geben in unseren privaten wie den beruflichen Beziehungen. Vielleicht hat uns Corona gelehrt, dass es sich auszahlt, die privaten wie beruflichen Beziehungskassen zu füllen; darauf zu achten, Fülle in unser Beziehungsnetzwerk einzuspeisen statt Mangel.


„Vielleicht hat uns Corona gelehrt, dass es sich auszahlt, die privaten wie beruflichen Beziehungskassen zu füllen.“

 

Spaltung und Unverständnis gehen durch das Land. Was kann jeder Einzelne dazu beitragen, dass mehr Verständnis füreinander da ist?

Wenn die persönliche Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht, dazu führt, dass man sich dem Lager der einen oder anderen Seite zugehörig fühlt, dann entsteht Spaltung. Nicht die Entscheidung selbst, sondern die Identifikation mit einer Gruppe, führt zur Spaltung. „Ich treffe meine Entscheidung und respektiere die Entscheidung anderer“, die Haltung sehe ich als Basis dafür, dass wir wieder zueinander finden.

Aus dem Erleben, wie schwer es uns fällt, unsere eigenen Überzeugungen zu relativieren, mag das wohlwollende Verständnis jenen gegenüber entspringen, denen das nicht gelingt. Wir müssen verstehen, dass wir von unterschiedlichen Seiten in eine Art Glaubenskrieg hineingetrieben wurden. Der Weg heraus ist für uns alle mühevoll.

Schließlich gilt es, Themen zu finden, über die wir die Beziehung wieder ins Fließen bringen. Die Zeit heilt viele Wunden. Wenn wir die richtigen Anknüpfungspunkte finden, gemeinsam Freude zu erleben, vielleicht auch für Dritte einen Beitrag zu leisten, dann werden sich die Gräben schon füllen.


„Nicht die Entscheidung selbst führt zu Spaltung, sondern die Identifikation mit einer Gruppe. „Ich treffe meine Entscheidung und respektiere deine“, diese Haltung sehe ich als Basis dafür, dass wir wieder zueinander finden.“

 

Was erwartet uns 2022? Auf welche Reise müssen oder sollten wir uns begeben?

Eine Entdeckungsreise, eine Reise ins Neuland, die es uns immer weniger ermöglicht, uns in Komfortzonen einzunisten. Wir werden herausgefordert sein, während des Segelns unser Boot umzubauen, einem neuen Spirit zu folgen, neue Arbeitsweisen und Formen des Zusammenwirkens auszuprobieren und vor allem unser bisheriges Führungsverhalten zu überdenken.

Und es wird Spaß machen, in dem Maße, in dem wir unser Herz in die Hand nehmen und uns auf das Unbekannte einlassen und unterschiedliche Lebensbereiche dahin zu transformieren, dass sie mit der Zukunft übereinstimmen; dass sie mit dem Leben übereinstimmen.

Wie kann man schwierige Lebensphasen wie diese am besten überwinden?

Am Besten gemeinsam. Es braucht ein neues WIR in unseren Familien, in unseren Unternehmen, in der Politik, in der Gesellschaft. Ein Wir, das sich nicht aus dem Gegensatz zu einem IHR definiert, sondern aus dem Verständnis, dass wir gemeinsam Teil eines größeren Ganzen sind, und dass wir gemeinsam Verantwortung tragen für das Wohl des größeren Ganzen.

Ein WIR, das nicht durch die Unterdrückung der Individualität seiner Mitglieder zustande kommt, sondern durch das Einbringen und Zusammenwirken ihrer individuellen Stärken und Möglichkeiten. Ein buntes WIR, in dem jedes Mitglied seinen Platz findet, auf dem es sich optimal entfalten und sein Bestes zur Wirkung bringen kann.


„Es braucht ein neues WIR, das sich nicht aus dem Gegensatz zu einem IHR definiert“

 

Welche drei Schritte sollte jeder von uns in Richtung eines wirklich guten Lebens gehen?  Was ist der erste Schritt?

Machen wir uns bewusst,

  • dass es das ist, was wir zutiefst wollen: Richtig gut leben. Kein Mensch will nicht richtig gut leben. Richtig gut leben ist das Motiv hinter allen unseren Motiven. Alles, was wir tun und wollen, ist letztlich diesem Antrieb, geschuldet, selbst das Destruktive. Destruktiv werden wir immer dann, wenn wir den Zugang zu uns selbst verloren haben und zu dem, was wir eigentlich wollen: richtig gut leben.

  • dass ein richtig gutes Leben nur möglich ist, wenn ich auch dich und das Ganze mit einbeziehe. Eine Egopartie hat immer innere und äußere Spannungen zur Folge und ist deshalb ein Feind des richtig guten Lebens.

  • dass wir selbst Ursache und Ausgangspunkt für unser richtig gutes Leben sind. Letztlich sind wir selbst dafür zuständig.

Veränderung verängstigt viele Menschen. Auch wenn Sie wissen, dass eine Veränderung ihr Leben verbessern würde, wagen sie es oft nicht. Was können Sie mit Ihren Seminaren dazu beitragen?

Nach meiner Erfahrung wagen sie es durchaus. Wenn den Menschen optimale Rahmenbedingungen geboten werden, sich ihrer selbst zu besinnen, sich bewusst zu machen, was ihnen wesentlich ist, was das Leben von ihnen fordert – das innere wie das äußere; wenn die Menschen also ein Stück weit ihre Fesseln ablegen, dann entsteht Veränderung wie von selbst. Wir brauchen sie gar nicht zu forcieren. In den Seminaren finden sie diese Rahmenbedingungen dafür, die geeignete Atmosphäre, die geeignete Beziehungsqualität, die geeigneten Methoden. 

Was brauche ich eigentlich, in wenigen Worten ausgedrückt, um ein richtig gutes Leben zu führen?

Diese Frage gefällt mir besonders, weil sie die Unterscheidung nahelegt zwischen „ein gutes Leben haben“ und „ein gutes Leben führen“. Es liegt auf der Hand, dass ich ein schlechtes Leben habe, wenn ich ein schlechtes Leben führe. Wenn ich mich selbst, andere und das Ganze, dessen Teil ich bin, schwäche, wenn ich mir selbst, anderen und dem Ganzen Probleme kreiere, wenn ich Lebensfluss, Lebenslust, Lebensfreude verhindere, dann habe ich wohl auch ein schlechtes Leben.

In dem Maß jedoch, in welchem ich stärkend, lösend, lebensfördernd wirke – für mich selbst, andere und das Ganze – in dem Maße habe ich zwangsläufig ein richtig gutes Leben.


„In dem Maße, in welchem ich stärken, lösend, lebensfördernd wirke – für mich selbst, andere und das Ganze – in dem Maße habe ich zwangsläufig ein richtig gutes Leben.“

 

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Über  den Autor

Über den Autor

Wolfgang Stabentheiner zählt zu Europas Coachingpionieren der ersten Stunde. 1990 gründete er FUTURE und entwickelte das erste ICF-zertifizierte Coachingprogramm im deutschen Sprachraum. Er wirkt international als Coach, Autor, Seminarleiter und Vortragender.
Mehrfach rankte man ihn unter die Top 100 der inspirierendsten Menschen im deutschen Sprachgebiet.

Im Laufe der letzten 30 Jahre haben sich ihm an die 2000 Führungskräfte in Seminaren, Coachings und Beratungen anvertraut. Er hat hunderte von Coaches aus vielen Ländern Europas ausgebildet und ungezählte Unternehmen in wichtigen transformatorischen Prozessen begleitet. Seit 2019 widmet er sich ganz dem Thema
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